Digitalisierung in der Schule – auch eine Einstellungssache

Dass die Schule mit der Umsetzung der Digitalisierung Mühe zeigt, ist eine Binsenweisheit. Sowohl am Stammtisch, wie in der Presse oder auch via Memes im Netz, wird über die Rückständigkeit der Schule gelächelt und gelacht. Ein immer wiederkehrendes Symbol der Rückständigkeit ist der Hellraumprojektor, welcher sich tatsächlich immer noch hartnäckig in einigen Schulstuben hält. Ob diese Fokussierung auf die Schule der tatsächlichen Situation gerecht wird, ist aber stark zu bezweifeln. Die Coronakrise hat schonungslos aufgezeigt, dass nicht nur die Schweizer Schulen einen grossen Nachholbedarf betreffend Digitalisierung haben: Weiterhin sammelt das Bundesamt für Gesundheit einen grösseren Teil seiner Daten mit Hilfe von Faxgeräten, Websites von bekannten mittleren und grossen Unternehmen besitzen keine Https-Verschlüsselung, Homeoffice wird sofort wieder abgebaut, sobald der Bund seine entsprechende Empfehlung zurücknimmt und gefühlt jedes zweite Restaurant schafft es nicht, eine Bezahlung sowohl per Kredit- wie auch per Postkarte zu ermöglichen. Dies sind nur einige Beispiele von vielen.

Solche Beobachtungen lassen aufhorchen. Ist «die Schweiz» einfach rückständig oder wieso schafft sie es nicht, neue Technologien zu antizipieren und sinnvoll einzusetzen?

Finanzielle Mittel und Infrastrukturen sind vorhanden

In Gesprächen mit Lehr- und Schulleitungspersonen, Gemeinderats- und Schulpflegemitgliedern und ICT-Verantwortlichen und bei Bestandesaufnahmen von vorhandenen ICT-Infrastrukturen in Schulen, lässt sich häufig eines feststellen: Viele Schulen sind durchaus willens, ihre Infrastruktur zu erneuern, auch ist die Bereitschaft, Geld dafür zu sprechen, bei den Gemeindeverantwortlichen und Bürgerinnen und Bürgern häufig sehr hoch. Es scheint also auch kein politisches Problem zu bestehen.

Digitalisierung heisst auch Flexibilität – Bewahrungshaltung bremst

Im Austausch mit den Beteiligten eines Schulbetriebs taucht aber immer wieder eine defizitorientierte Haltung gegenüber neuen ICT-Konzepten auf. Typische Sätze, welche immer wieder zu hören sind, lauten z.B. wie folgt:

  • «Aber meine Lernsoftware xy läuft jetzt auf dem neuen Betriebssystem nicht mehr!»

  • «Das Gerät hat ja gar kein CD-Laufwerk, wie kann ich jetzt meine CD mit den Lernvideos abspielen?»

  • «Es hat nicht funktioniert, da habe ich aufgehört.»

  • «Das ist viel komplizierter als vorher.»

  •  «Aber Beamer müssen doch an der Decke montiert werden?»

Die Liste liesse sich beliebig fortsetzen. Flexibilität, sich an etwas Neues anpassen, Experimentieren, sich durchbeissen, bereitet offensichtlich vielen Playern im Schulumfeld, aber auch den meisten Personen ausserhalb der Schule, grosse Schwierigkeiten. Dazu kommt, dass bei «Computern» jede und jeder ganz genau vorgibt zu wissen, wie man es (nicht) machen sollte. Die Kompetenzaufbau-Idee, auf welcher auch der Lehrplan 21 basiert, scheint - zumindest im Bereich ICT - noch nicht ganz in der Gesell- und Lehrerschaft angekommen zu sein. Gerade bei ICT wirkt dies aber besonders bremsend – diese leben vom flexiblen Umgang mit sich stetig wandelnden Konzepten. Regellernen, Wissen auswendig lernen und Vorgehen nach Bedienungsanleitung hilft in den seltensten Fällen weiter. Starres Wissen im Zusammenhang mit Informatik ist häufig schon beim Lernen wieder veraltet. Ein paar illustrierende Beispiele zu dieser Thematik:

  • Kompetent ist nicht, wer Excel bedienen kann, sondern wer das Konzept von Tabellenkalkulationsprogrammen verstanden und diese im Alltag situativ einsetzen kann. Damit erübrigt sich dann auch der nicht zielführende Streit, ob Numbers von Apple oder Excel von Microsoft das bessere Programm sei. Ist man kompetent im Einsatz des einen, lässt sich auch mit dem anderen gut arbeiten. Meist lassen einem hier die Vorgaben des Auftragsgebers sowieso keine Wahl.

  • Das Problem von Programmen, welche nicht mehr (richtig) reagieren, kann häufig durch Beenden und Neustart behoben werden. Wer dies einmal an einem Beispiel erfahren hat und beim nächsten, ähnlich gelagerten Problem mit einem anderen Programm anwenden kann, hat eine allgemeine Problemlösestrategie entwickelt – ein Zeichen von kompetentem Handeln. Wer immer wieder erneut vom ICT-Support auf diese Möglichkeit hingewiesen werden muss, dem fehlt die Fähigkeit des Wissenstransfers.

  • Bei wem auf die Erkenntnis, dass etwas nicht (mehr so wie es früher war) funktioniert, die Frage «Wie könnte man es dann auch noch (besser/einfacher) machen?» und im besten Falle eine Experimentierphase folgt, der handelt innovativ und ist flexibel. Die Äusserung von Ärger über das System und die Suche nach einem Schuldigen mag zwar befreiend sein, sagt aber meist mehr über den User als über das System aus.

Das 4K-Modell hilft weiter

«Kommunikation, Kollaboration, Kreativität und kritisches Denken», dies sind die vier Kompetenzen, welche gemäss der Partnership for 21st Century Learning (P21) für Lernende des 21. Jahrhunderts von herausragender Bedeutung sind. Nimmt man dazu das Konzept des Lebenslangen Lernens als Grundlage, sind aber alle Menschen Lernende. Das 4K-Modell gilt also auch für Lehrpersonen und Behördenvertreter. Gerade im Bereich ICT, sei es beim Erstellen von Konzepten, der Einrichtung von Geräten vor Ort aber v.a. auch beim Umgang mit den lokal gegebenen Rahmenbedingungen, sind alle vier «K» essentiell:

  • Kommunikation: Fragen stellen, erklären, nicht die Faust im Sack machen, Bedürfnisse anmelden aber auch flexibel mit deren Befriedigung umgehen.

  • Kollaboration: Sich an Veränderungsprozessen aktiv beteiligen, mitarbeiten statt bremsen, Hilfe anbieten und Hilfe annehmen, (Führungs)verantwortung wahrnehmen.

  • Kreativität: Schwierigkeiten als Herausforderung sehnen, Probleme kreativ lösen, (scheinbar) Schlechtes zu Guten wandeln, Mittel unkonventionell einsetzen.

  • kritisches Denken: Verbesserungspotenzial (auch bei sich selbst!) suchen, nur konstruktiv kritisieren, eigene Haltungen und Wahrnehmungen kritisch hinterfragen

Fazit

Digitalisierung bedeutet nicht ausschliesslich eine Transformation bei den eingesetzten Geräten, sondern v.a. auch ein Wandel bei den eigenen Haltungen, Handlungen und der Art und Weise zu denken. Ohne Kreativität, Flexibilität und «um die Ecke denken», verharren wir bei einem reinen Ersatz und verpassen den Wandel. Dieser persönliche und kulturelle Wandel ist aber nicht delegierbar und auch nicht käuflich. Er muss im eigenen Kopf, vor Ort und/oder im betroffenen Team stattfinden. Ohne ihn bleibt jedes noch so gut durchdachte Konzept und auch der grösste Berg von modernen, digitalen Geräten nur ein Haufen Papier, Kunststoff, Glas und Metall.

Patrick Huggel