Verbot von Präsenzveranstaltungen in Schulen bringt auch Chancen mit sich

Am 13.03.2020 traf der Bundesrat die absehbare Massnahme: Unter anderem sind Präsenzveranstaltungen der Schule bis auf weiteres verboten (1). Wie soll nun vorgegangen werden, um einen Knick in der Bildungslaufbahn der Schülerinnen und Schüler zu vermeiden, fragen sich viele Erziehungsdirektorinnen und -direktoren, sowie Schulleiterinnen und Schulleiter.

 

Kantönligeist bei der Umsetzung

Der Bundesrat macht neben dem Verbot von Präsenzveranstaltung keinerlei Vorschriften, wie der Unterrichtsausfalls vor Ort aufgefangen werden soll. Er überlässt dies den zuständigen Behörden der Kantone. Bereits jetzt zeichnet sich kantonaler Wildwuchs und kein koordiniertes Vorgehen ab. Vergleicht man z.B. die Erlasse der Kantone Aargau, Zürich und Solothurn, so zeigt sich Folgendes:

  • Laut BKS des Kantons Aargau ist jeglicher Unterricht (aus Gründen der Wahrung der Chancengleichheit) untersagt. Es dürfen nur freiwillige Lernangebote gemacht werden (2).

  • Das Volksschulamt des Kantons Zürich weist die Lehrpersonen an, Fernunterricht für die Schülerinnen und Schüler anzubieten (3).

  • Im Kanton Solothurn entfällt der Unterricht bis und mit dem 18.03. An diesem Tag soll eine Information über die Heimschulung erfolgen, welche spätestens ab dem 23.03. für alle Schülerinnen und Schüler starten soll (4).

Drei Kantone – drei völlig unterschiedliche Massnahmen. Ein geeintes Vorgehen sieht anders aus, wobei natürlich zu beachten ist, dass die Vorbereitungszeit auf diese aussergewöhnliche Situation sehr kurz war.

 

Die Möglichkeiten

Viele Schulen in allen Kantonen sind digital bereits stark hochgerüstet – sie haben ihre Hausaufgaben in Bezug auf das Fach «Medien & Informatik» gemäss Lehrplan 21 gemacht. Andere sind aus diversen Gründen überhaupt noch nicht soweit und haben nun doppelt zu kämpfen: Neben der Herausforderung, dem neuen Lehrplan gerecht zu werden, ist es für diese Schulen nun ungleich schwieriger, ein Heimlernangebot für ihre Schülerinnen und Schüler bereitzustellen. Weiter sind auch viele Lehrmittelverlage noch lange nicht in der digitalen Welt angekommen und verbreiten weiterhin Lehrmittel ohne digitale Zusatzangebote, geschweige denn einen 1:1-Ersatz. Häufig wird auch auf veraltete Technologien wie Flash-Online-Tools oder CD gesetzt.

Trotzdem ist die Situation natürlich nicht hoffnungslos. So sind genügend Online-Lernmaterialien vorhanden, um ein Lerntraining in den vier Grundkompetenzen «Lesen, Schreiben, Rechnen und Informatik» anzubieten. Dank der weiträumigen Technologisierung der Schweiz, stehen für Notfälle wie den aktuellen auch genügend private Geräte zur Verfügung, um die ungenügende Ausrüstung von gewissen Schulen zu kompensieren. Im Sinne der Chancengleichheit sollte sich das Lernprogramm aber auf eine Repetition und Festigung des bereits bearbeiteten Stoffes beschränken. Aus meiner Sicht ist es nicht statthaft, mit dem Unterricht fortzufahren. Dafür sind die sozialen Unterschiede – sei es bei der digitalen Ausrüstung, aber vor allem auch bei der Möglichkeit, die eigenen Kinder beim Lernen zu unterstützen – auch in der reichen Schweiz zu gross. Somit scheint mir die Stossrichtung des Kantons Aargau aus sozialer Sicht die praktikabelste zu sein – zumindest, falls sich der Unterrichtsausfall auf drei Wochen beschränken sollte. Falls ein weiterer Ausfall droht, haben Bund und Erziehungsdirektorenkonferenz nun zumindest 5 Wochen Zeit (Ausfall + Frühlingsferien), um längerfristige, koordinierte Lösungen zu finden und zu realisieren.

 

Aus Zitronen Limonade herstellen

Für Schulleitungen und Lehrpersonen gilt es nun, aus der aktuellen Situation nicht nur das Beste zu machen, sondern möglicherweise sogar einen Mehrwert daraus zu generieren: Die Zeit, welche durch den Ausfall von Präsenzveranstaltungen bis zu den Frühlingsferien nun teilweise zusätzlich zur Verfügung steht, kann und soll sinnvoll genutzt werden. Projekte zur Unterrichts- und Teamentwicklung, welche bereits lange anstehend aber nirgends Platz hatten, können nun realisiert werden. Auch an der oben erwähnten teilweise fehlenden Strategie und Infrastruktur zur/für die Digitalisierung kann nun gearbeitet werden. Die verordnete Entschleunigung kann der Schule die nötige Luft geben, um mit den vielen anstehenden Reformen positiv umzugehen – eine einmalige Gelegenheit. Es ist zu hoffen, dass diese nicht durch Hauruckübungen der kantonalen Bildungsverantwortlichen zunichte gemacht werden. Denn seien wir ehrlich: Ein paar wenige Wochen Schulausfall werden die betroffenen Kinder nicht wahnsinnig in ihrer Schulkarriere zurückwerfen. Natürlich braucht es eine sinnvolle Beschäftigung – z.B. im oben vorgeschlagenen Rahmen – um den Lerntrieb zu befriedigen, aber eine Pseudo-Aufrechterhaltung der Normalität durch Fernbeschulung zur Erreichung der gleichen Ziele wie denjenigen von Präsenzveranstaltungen ist unrealistisch und v.a. nicht kontrollierbar. Zumindest nicht auf dem heutigen Stand der technischen Ausrüstung von Schulen. Vertrauen wir also darauf, dass alle Player in der Bildungslandschaft mit innovativen Ideen der sauren Zitrone eine grosse Portion Süsse beifügen.

Patrick Huggel

 

Quellen

  1. Vgl. Schweizerische Eidgenossenschaft: Verordnung 2 über Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus (COVID-19). In: admin.ch. Stand: 13.03.2020. https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/60655.pdf (aufgerufen am 15.03.2020 um 12:28 Uhr)

  2. Vgl. Kanton Aargau: Informationen zum Schulbetrieb. In: ag.ch. Stand: 14.03.2020. https://www.ag.ch/de/themen_1/coronavirus_2/informationen_zum_schulbetrieb/informationen_zum_schulbetrieb.jsp (aufgerufen am 15.03.2020 um 12:31 Uhr)

  3.  Vgl. Volksschulamt des Kantons Zürich: Leitungszirkular aus dem Volksschulamt Zürich: Verbot Präsenzunterricht. In: vsa2.zh.ch. Stand: 13.03.2020. https://vsa2.zh.ch/newsletter-tool/archiv-detail.php?id=11331 (aufgerufen am 15.03.2020 um 12:36 Uhr)

  4. Vgl. Staatskanzlei des Kantons Solothurn: Verschärfte Massnahmen im Kampf gegen das neue Coronavirus. In: so.ch. Stand: 13.03.2020. https://so.ch/fileadmin/internet/staatskanzlei/stk-komm/Dokumente/2020/Corona/mmCorona_200313_3.pdf (aufgerufen am 15.03.2020 um 12:37 Uhr)