Volksschule & Digitalisierung – ein untrennbares Paar
«Meine Schülerinnen und Schüler sollen eine schöne Handschrift, Rechnen und Lesen lernen, sich bewegen und spielen – an elektronischen Geräten herumdrücken können sie auch zu Hause, das brauche ich in der Schule nicht. Ausserdem sind die Kinder sowieso Digital Natives und können mit Smartphone, Tablets und Computern viel besser umgehen als ich!»
Solche und ähnliche Rückmeldungen habe ich schon öfter von Kolleginnen und Kollegen zu Tipps, Anregungen oder Vorschlägen aus der Welt der digitalen Medien für den Unterricht, welche ich in meiner Funktion als Technischer und Pädagogischer ICT-Supporter gebe, erhalten. Gemeinsam haben sie eine Idee der Unvereinbarkeit der Grundkompetenzen Lesen, Schreiben, Rechnen mit digitalen Medien und die Vorstellung, dass die heutigen Kinder und Jugendlichen überhaupt schon kompetent genug im Umgang mit ICT seien. Kurzum – die Beschäftigung mit digitalen Medien gehöre nicht zum Unterricht, ja störe sogar das Erlernen besagter Grundfähigkeiten und sei ausserdem unnötig.
Die Problematiken und Widersprüche, welche solche Meinungen und die dazugehörigen Haltungen mit sich bringen und beinhalten, sind offensichtlich. Betrachten wir diese trotzdem etwas genauer.
Bildungsauftrag der Volksschule
Lehrpersonen sind an das Schulgesetz gebunden, welches unter anderem die Aufgaben der Volksschule regelt. So steht z.B. im Schulgesetz des Kantons Aargau über Schulen Folgendes: «[...] in denen die Jugend […] zu selbständigen und verantwortungsbewussten Bürgern […] erzogen wird […] und wo sie mit der Welt des Wissens und der Arbeit vertraut gemacht wird, […]» (1). Auch alle anderen kantonalen Schulgesetze halten in irgendeiner Form fest, dass die Volksschulbildung die Schülerinnen und Schüler zur Teilnahme am Zusammenleben in allen Lebensbereichen befähigen soll.
Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass sämtliche alltagsrelevanten Themen auch Themen des Volksschulunterrichts zu sein haben.
Der (digitale) Alltag
Die Digitalisierung kommt nicht erst, sie ist bereits Realität und durchzieht unseren Alltag, wie nichts anderes sonst. Vom Smartphone-Wecker, über die morgendliche Nachrichtensendung im Radio, welche bald nur noch per DAB+-Standard empfangen werden kann, das Checken des Fahrplans zur Arbeit via SBB-App – vielleicht wird auch gleich noch das Ticket damit gekauft – alternativ das Navigationssystem im Auto, den Einsatz des Internets für die Arbeit und Freizeit, den Kauf von Waren und Dienstleistungen, bis zur Speicherung von persönlichen Daten, alles läuft digital. Jede Person hat das Recht, diese Tatsache als negativ, positiv oder neutral zu beurteilen – am Faktum selbst ändert sich damit aber nichts.
Man erinnere sich, welche Folgen längere und flächendeckende Stromausfälle in der Vergangenheit hatten – Notstände in Spitälern, Versagen des Transportnetzes und so weiter. Dies gibt eine – aber nur eine winzige – Vorschau darauf, was bei einem grösseren Ausfall des Internets los wäre.
Die Fehlvorstellung von den Digital Natives
Als Digital Natives oder zu Deutsch «Digitale Ureinwohner» wurden und werden Menschen bezeichnet, welche in einer bereits digitalisierten Welt aufgewachsen sind (2). Es geht dabei also um Menschen, welche ab einem bestimmten Zeitpunkt geboren sind und deren Lebenswelt deswegen ab Geburt das Vorhandensein und die alltägliche Nutzung von digitalen Medien beinhaltet. Daraus zu schlussfolgern, dass diese Nutzung automatisch kompetenter geschieht, als bei nicht zu dieser Generation gehörigen Menschen, ist in etwa so widersinnig, wie bei einer Person, welche ins Autozeitalter hineingeboren wurde die Fähigkeit ein Fahrzeug sicher und gesetzeskonform zu lenken, vorauszusetzen.
Kinder und Jugendliche trauen sich meist mehr zu im Umgang mit digitalen Geräten als ihre Eltern oder Lehrpersonen, sie kennen keine Welt ohne diese Technik. Alles was den rein intuitiven Umgang damit übersteigt – seien es einfach Dinge wie Tastaturschreiben oder die Führung eines übersichtlichen Ordnersystems, aber auch komplexe Aufgaben, z.B. den vorsichtigen Umgang mit eigenen Daten oder die Vereinfachung eines Arbeitsablaufes durch Programmierung – muss auch von den Digital Natives von der Pike auf gelernt werden. Dafür benötigen sie Begleiterinnen und Begleiter, welche sie anweisen, unterstützen und als Vorbilder wirken und eine passend ausgerüstete Lernumgebung.
Lesen, Schreiben, Rechnen, … Programmieren
Auch im Zeitalter der Digitalisierung verlieren die drei Grundfertigkeiten, welche die Volksschule vermitteln soll, keineswegs an Bedeutung. Eher im Gegenteil: Ein Arbeiten und eine Auseinandersetzung mit digitalen Medien ist in allen Fällen ohne die Beherrschung einer oder mehrerer dieser Fähigkeiten nicht möglich. Alleine die Beschäftigung damit verschiebt sich – so wird beispielsweise Handschrift teilweise durch Tastaturschreiben ersetzt, Lesen durch (Zu)hören und Schauen ergänzt und Rechnen mit Computern erleichtert, was mehr Zeit für eine vertiefte Beschäftigung mit Mathematik lässt.
Nimmt man alle drei Grundfertigkeiten zusammen und ergänzt sie mit Kreativität, logischem Denken und Problemlösefähigkeit, resultiert diejenige Fertigkeit, welche einem zu einer Interaktion mit digitalen Maschinen befähigt und über die blosse Anwendung hinausgeht – die Fertigkeit des Programmierens. Sie alleine macht uns zum Meister der digitalen Geräte und verhindert somit eine Auslieferung, trotz der unvermeidbaren Abhängigkeit.
In einer Welt, welche vollständig von digitalen Medien abhängig ist, stellt die Fähigkeit zu Programmieren also einen extremen Vorteil im Alltagsleben dar. Die traditionellen Grundfertigkeiten werden damit nicht obsolet, nein sie nehmen an Wichtigkeit zu. Diesen Vorteil müssen wir unseren Kindern, Schülerinnen und Schülern unbedingt in ihren «Rucksack» packen, was übrigens ab dem Kindergartenalter geschehen kann und soll und wofür auch Unterrichtsideen im Freien, ohne Geräte und mit viel Bewegung bestehen.
Volksschule – quo vadis?
Die Wichtigkeit des Einbezugs von digitalen Medien und Informatik im Schulalltag wurde von der Bildungspolitik schon lange erkannt, jedoch nur für die älteren Schuljahrgänge. So sehen die aktuellen Lehrpläne des Kantons Aargau seit fast 20 Jahren die fächerübergreifende Thematisierung von Informatikinhalten in der 7. bis 9. Klasse vor (3). Mit dem Lehrplan 21 wird der Stellenwert von «Medien und Informatik» zusätzlich gestärkt werden, indem dafür ein eigenes Modul geschaffen wurde. Dieses erstreckt sich über alle Schulstufen der Volksschule (4) und wird im Kanton Aargau voraussichtlich von der 5. bis zur 8. Klasse zusätzlich als eigenes Schulfach unterrichtet werden (5).
Schlussfolgerung: Digitale Bildung muss jetzt stattfinden
Als Fazit aus den vorangehenden Überlegungen resultiert vor allem eines: Die Digitalisierung als integrativer Bestandteil des menschlichen Alltags ist da und nicht aufzuhalten. Die Schule und hat somit den Auftrag, die Schülerinnen und Schüler bestmöglich auf die dadurch entstehenden Herausforderungen vorzubereiten.
Dies gelingt nur, wenn sowohl die Schulinfrastruktur, die Schulleitung, die Technischen (TICTS) und Pädagogischen ICT-Supporter (PICTS) und vor allem auch die Lehrpersonen dafür bestmöglich gerüstet sind. Dies bedingt Sensibilisierung, Aus- und Weiterbildung, Erstellung von ICT-Konzepten sowie Beschaffung und Bereitstellung von zweckdienlicher Hard- und Software. All dies ist nicht gratis zu haben, aber - durch die Wahl eines kompetenten Partners bei der Begleitung aller Prozesse - nachhaltig, ökonomisch und selbstgesteuert machbar. Mehr dazu in den kommenden Artikeln dieses Blogs.
Patrick Huggel
Links
Vorlage Lehrplan 21 | Modul "Medien und Informatik"
Quellen
Präambel des Schulgesetzes des Kantons Aargau vom 17.03.1981
Vgl. Windisch & Medman: Understanding the digital natives. In: Ericsson Business Review. 1/2008, S. 36.- 39
Vgl. Lehrplan Volksschule des Kantons Aargau vom 01.08.2016, S. 10
Vgl. Lehrplan 21 – Gesamtausgabe der Deutschschweizer Erziehungsdirektoren-Konferenz vom 29.02.2016, S. 481 ff.
Vgl. Kanton Aargau - Departement Bildung, Kultur und Sport (2018): ag.ch, in: https://www.ag.ch/de/bks/ueber_uns_bks /dossiers_projekte_bks/neuer_aargauer_lehrplan/lehrplan.jsp?sectionId=980551-619330444&accordId=1, Zugriff am 31.03.2018 um 15:24 Uhr